Circen
Wolfsmilch 130 x 90 cm Acryl auf Leinwand 2016 (Privatcollection)
Be my dog 130 x 90 cm Acryl auf Leinwand 2016
Lounge Lizard 130 x 90 cm Acryl auf Leinwand 2016
Above 90 x 130 cm Acryl auf Leinwand 2016 (Privatcollection)
Undefined spaces 130 x 90 cm Acryl auf Leinwand 2016
Paper my wall 130 x 90 cm Acryl auf Leinwand 2016 (Privatcollection)
Who rules? 95 x 70 cm Acryl auf Leinwand 2016
Maya 60 x40 cm
Acryl auf Leinwand 2016 (Privatcollection)
Mohna 60 x40 cm
Acryl auf Leinwand 2016
(Privatcollection)
Christal 60 x40 cm
Acryl auf Leinwand 2016 (Privatcollection)
Alba 60 x40 cm
Acryl auf Leinwand 2016
Circen
Es fällt schwer ihnen auszuweichen. Den Blicken von Alba, Christal, Damina und all den anderen Frauen, die allesamt eins gemeinsam haben: Sie sind schön. Schön im klassischen Sinne, nach dem Idealtypus: feine, symmetrische Gesichtszüge, ebenmäßige Haut und große Augen. Und so ziehen sie uns in ihren Bann, der unsere Konzentration strudelnd wie ein Sog ergreift. In „Above“ ist es ein Augenpaar, das uns aus der Bildmitte heraus direkt anschaut. Die außergewöhnliche Perspektive entbindet uns vom Eindruck eines realen Bildraums – so wirkt es als komme das Gesicht uns aus dem grünen Umfeld heraus entgegen. Arme und die beschwingten Linien des Kleides deuten eine Drehbewegung an – in der Imagination können wir uns vorstellen, wie sie sich um ihre eigene Achse dreht, einer hypnotischen Spirale gleich, die uns in einen pulsierenden Zeitfluss mitreißt, in dem es keinen Anfang und kein Ende gibt.
Die Frauen scheinen seltsam vertraut. Irgendwo irgendwann haben wir sie vielleicht schon einmal gesehen? Tatsächlich greift Stephanie Nückel hier auf aktuelle Werbegesichter zurück, wie wir sie täglich in den verschiedensten Printmedien abgedruckt und auf den Fernsehbildschirmen uns anlächelnd finden. Ihr Auftritt in der Welt der Werbung ist normalerweise homogen. Stets die üblichen weiblichen Geschlechtsrollenstereotypen widerspiegelnd, preisen sie anmutig und mit jugendlicher Frische die verschiedensten Produkte an. In der Inszenierung von mehr Schein als Sein wird die werbende Person zur profanisierten Heiligen. Und ganz nebenbei wird auch eine Betrachtung der Welt mit ihren vielfältigen Formen des Lebens ausgeklammert.
Stephanie Nückel hinterfragt diese einseitige Perspektive auf das Bild der Frau, in dem sie die Blutleere der Models konterkariert und die Schönen zum Leben erweckt. Mit malerischen, ausdrucksstarken Pinselzügen verleiht sie den Figuren eine eigenständige Präsenz, gibt ihnen eine Existenz, die nicht länger auf einen rein makellosen und perfekten Glanz abzielt. Weniger Objekt – mehr Subjekt; Weniger charakterlos – mehr individuell; weniger gefällig – mehr autark... doch sie sind nach aller Wandlung vor allem eins: unnahbar. Ja vielmehr noch – die grellen, kühlen Farben lassen sie in einem eisigen Hauch von Ablehnung uns Betrachtern gegenüber erscheinen.
Sinnlich-bedrohliche Verführerinnen lauern in den Bildern von Stephanie Nückel an verschiedenen Orten und in unterschiedlichen Posen. „Und ewig lockt das Weib“ – ob im Wald oder im Salon, sie alle geben dem
Auch stellt sich die Frage, ob ihre Anziehungskraft in der Rolle als Werbe-Ikonen nur auf Männer wirkt und nicht ebenso auf Frauen? Denn dem Wunsch, von einer solchen Frau verführt zu werden, kann gleichsam der Traum zur Seite gestellt werden, selbst schön und mächtig zu sein. Einmal so sein wie sie: Einfluss auf unser Gegenüber zu haben... das ist wohl eine Fantasie, die viele dann und wann einmal beherrscht.
Stephanie Nückel greift in freier Interpretation die Figur der Zauberin Circe auf, der Odysseus und seine Männer auf ihrer langen Reise Homers Dichtung zur Folge auf der Insel Aiaia begegnen. Auf prunkvollen Stühlen und mit köstlichen Speisen empfing sie Odysseus Gefolgschaft mit vermeintlich gastfreundschaftlicher Herzlichkeit. Doch kaum hatten sie gegessen, wurden die Männer von ihr in Schweine verwandelt. Vielleicht wäre auch Odysseus der mächtigen Zauberin verfallen, wenn nicht der besonnene Eurylochos, Schlimmes geahnt und sich von Circes Verführungskünsten distanziert hätte. Aber welche Rolle hat Stephanie Nückel für uns Betrachter vorgesehen?
Und damit komme ich noch einmal zurück zum Anfang meiner Rede: Vielleicht können auch Sie sich retten... Aber retten wovor eigentlich? Stephanie Nückel fordert das Hinterfragen unserer eigenen Position ein. Steigen wir vollkommen in das Geschehen auf der Leinwand ein oder betrachten wie es von außen? Lassen wir uns täuschen oder Durchschauen wir das Verführungsspiel? Mit malerischen Mitteln dekonstruiert sie das Bild von der schönen aber objekthaften Darstellung der Frau und zeigt somit eine andere, wilde und erotische Seite ihres Selbst auf. Diese Andersartigkeit von Weiblichkeit („Andersartig“ weil „selten gezeigt“) bricht und demaskiert die konventionellen Sichtweisen, sie verunsichert aber auch: Sind diese Circen nun unsere Verbündeten oder unsere Gegnerinnen? Mit einer gewissen Distanz, aus der auch Eurylochos die drohende Gefahr erkennen konnte, haben wir eine Möglichkeit, uns vor der zerstörerischen Kehrseite des schönen Scheins zu retten. Dann erkennen wir vielleicht, mit den Worten Stephanie Nückels ausgedrückt, welche Ängste und „Bedürfnisse (...) nicht unbedingt unsere sind, (...) Haltungen und Verhaltensweisen, die uns nicht zuträglich sind.“
Auszüge aus der Laudatio von Meike Su zur Ausstellung "Rette sich wer kann - Circen und andere
Zauberwesen!" von Stephanie Nückel im Kunstverein Achim 29.5.2016