Göttinnen

Ereshkigal - Göttin der Wiedergeburt Acryl auf Leinwand, 160 x 110 cm, 2017/18 (sold)

Lilith - Göttin des Schicksals und der Schöpfung Acryl auf Leinwand, 160 x 110 cm, 2017/18 (sold)

Lakshmi - Göttin der Liebe und des Glücks, Acryl auf Leinwand, 160 x 90, 2017/18

Abundantia - Göttin der Fülle, Acryl auf Leinwand, 160 x 110 cm, 2017/18 (sold)

Hekate - Göttin der Magie und der Verwandlung , Acryl auf Leinwand, 160 x 110 cm, 2017/18

Sige - Die Göttin der Stille Acryl auf Leinwand 160 x 110 cm 2020

Mary - Göttin der Barmherzigkeit, Acryl auf Leinwand, 160 x 110 cm, 2017/18

Artemis - Göttin der freien Natur und der Selbstbestimmung Acryl auf Leinwand, 160 x 110 cm, 2017/18

Göttinnen

Haben wir nicht längst vergessen, worin Macht und Magie der Frau liegen?
„Wissen“ wir (im Sinne eines Herzenswissens) was Frauen in ihrem Wesen als Frau bestimmt?

In ihrem Göttinnen Zyklus stellt die Malerin Stephanie Nückel diese Frage ins Zentrum ihres Schaffens.

Feinsinnig und analytisch und mit ihrer unnachahmlichen Kraft der Intuition, begibt sie sich dabei in weit abgelegenes, unerschlossenes Gelände - fernab des einschläfernden Mainstreams eines ständig beredten Diskurses über die Frau, der sie doch nur permanent verfehl.

Das eigentlich Weibliche – so die Malerin – wird in utilitaristischer Manier für gewöhnlich geglättet und funktionalisiert. Umso passionierter hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, in ihren Bildern ein versunkenes Reich wieder auferstehen zu lassen, und es in seiner glühenden Substanz zum Beben zu bringen.

Stephanie Nückels Göttinnen zelebrieren ein Fest, bei dem einem Hören und Sehen vergeht, und lodernd öffnen sie Türen zu vergessenen Ahnungen.

Zum Beispiel Lilith: Wie ein Windgeist der Nacht erscheint sie unsagbar anmutig, umgeben von einer Aura der nächtlichen, okkulten Unnahbarkeit. Als ob ein Blitz das Bild durchzuckt, erscheint hinter ihr ein ungezähmter Panter. Lächelt Lilith inmitten ihrer schönen Unheimlichkeit oder ihrer unheimlichen Schönheit – oder bewegt sich dieses Lächeln nicht schon am Rande eines Zähnefletschens? Die pure Erotik, die Nückels Lilithgemälde durchströmt, bringt den Betrachter zum vergessenen Pulschlag von Urgewalten zurück:

Das Weibliche, so gibt uns die Malerin in ihrem Lilithgemälde zu spüren, ist archaisch. Es partizipiert an Naturmächten, an lebensschützenden, gebärenden und zerstörerischen Energien.

Es nimmt nicht Wunder, dass der Mond sowohl auf dem Lilithgemälde aufleuchtet als auch auf mehreren anderen Göttinnenbildern von Stephanie Nückel, denn die Urkraft des Weiblichen ist zyklisch. Es kreist mit dem Mond, mit Tag und Nacht und unterhält eine stumme Korrespondenz mit dem rhythmischen Herzklopfen als Urquell allen Lebens.

Auf dem Gemälde der Hekate bildet der grüne Hexenkreis den Bezugsrahmen, den die Göttin tänzerisch, lockend und bedrohlich vor sich hält. Hekate die Grenzgängerin, die Wächterin der Tore zwischen den Welten, zeigt sich dem Betrachter als trage sie eine böse Maske. Kein Lächeln, kein Liebreiz, kein Gefallenwollen – im Antlitz der Hekate kulminiert eine Macht, die mit einem einzigen Atemhauch Haut, Haar und Herz versengen könnte, wenn sie nicht gleich ganz das Leben nähme, käme man ihr zu nah. Wo die Göttin entlang wandelt, öffnen sich offenbar Türen – so erzählt der Hintergrund des Bildes, doch welche Türen? Sind es Schwellen zum Hades oder zu einer nie gekannten, unermeßlich paradiesische Freiheit, durch die das Licht und der Atem strömt? Welchen Weg leuchtet Hekate aus mit der brennenden Fackel in der Hand? Im Bannkreis der Hekate lässt die Malerin Tod und Zerstörungskraft, lebenshungrigen Eros und lichtvolle Freiheit ineinander stürzen wie zwei Ströme, die untrennbar zusammengehören.

Das Weibliche, das in unserer Alltagswelt viel zu oft zur harmlosen Fassade degradiert wird, stimmt wohl ganz besonders im Hekategemälde ein Hexengelächter an. Laut lacht die Göttin zusammen mit Lakshmi, Inana, Abundantia, Ereshkigal, Artemis, Lilith und Sekhmet über das schuld- und schambeladene weibliche Cliché, das die Frau seit Jahrtausenden unter das Joch der Selbstverleugnung beugt. Als stummer Schrei steht die beschnittene und disziplinierte Weiblichkeit, die heimlich unter ihrem Joch stöhnt und ächzt und ihre besten Kräfte vergeudet, in einer geheimen Korrespondenz zu der entfesselten und entgrenzten Kraft der Göttinnen: Dreckig, laut, höhnisch, vulgär, lustverzückt, zerstörerisch, haß- und liebeserfüllt, in einer Dimension unendlichen Tiefgangs – so beschwören Stephanie Nückels Göttinen die verdrängte Seite der sittsamen Madonna herbei, ohne die sie niemals selbst zur Göttin werden kann, sondern immer nur zur gefügigen und gehorsamen Gottesgebärerin.

Eine ganz andere weibliche Energie tritt uns mit Abundantia und Lakshmi entgegen: Abundantia, die Glücksverheißende, die aus der Überfülle des Lebens schöpft, die leicht wie ein Kind ihren inneren Reichtum verschwendet und mit ihrer lachenden Inspiration alles um sich herum mit Leben und Lust infiziert. Ähnlich glücksberauscht erscheint uns Lakshmi, die große Liebende, die Gebende, deren Antlitz von einer hellen Lotosblüte überstrahlt wird. Der Lotos wurzelt im Schlamm, im Abgrund, im Dreck. Doch Lakshmi als Erdgöttin transformiert aus der Sicht der Malerin den Schlamm in Duft und in Leben. Sie wendet im Handumdrehen die Schwere in Leichtigkeit und in Schönheit.

Stephanie Nückel lockt in ihrem Zyklus ganz bewusst kulturübergreifend verschiedene Göttinen auf ihre Malgründe – aus dem sanskritischen, dem griechischen, dem römischen, und aus dem babylonischen Kontext – da es ihr um etwas Universelles geht: die Magie und das Fest der Weiblichkeit, das sich auf kein religiöses oder kulturelles System reduzieren lässt, im Gegenteil: Die Kraft der Weiblichkeit hat jedwedes System von vorne herein schon überflutet und gesprengt. Der Göttinnen Zyklus der Malerin wirft eher die umgekehrte Frage auf: Ist das Weibliche nicht eher eine der entscheidenden Bedingungen des Kulturellen und Religiösen?

Wenn die „göttliche“ und erhabene Kraft der Frau schon massenweise und ebenso universell negiert und assimiliert wird wie sie in den weiblichen Gottheiten gefeiert wird, so leuchtet uns Stephanie Nückel zumindest diesen Weg mit dem Pinsel als ihrer brennenden Fackel in der Hand aus: Das geheime Wissen über die Frau ist aufgehoben und bewahrt – wenn schon viel zu oft nicht im wahren Leben, dann zumindest im Mythos. Und den Mythos der Göttinnen erweckt die Malerin – selbst eine Magierin – zu neuem Leben und lässt ihn auferstehen, damit er sein selbstbewusstetes, und selbstgewisses Leuchten in die Welt trägt und seine befreiende und heilende Macht entfaltet.

Dr. phil. Jutta Czapski, Kunsthistorikerin, Kulturwissenschaftlerin| Berlin Sommer 2018